Aus der Perspektive konstruktivistischer Lerntheorien ist es naheliegend "Lehren als eine Gestaltungswissenschaft" (Baumgartner & Bergner, 2014, S. 164) zu verstehen. Es geht darum, Lernprozesse so zu gestalten, dass sie einerseits konsistent strukturiert sind und andererseits den Lernenden aber auch einen möglichst großen Freiraum zur eigenen Selbstentfaltung bieten. Die Herausforderung liegt darin, den Lernprozess so zu strukturieren, dass er zum einen motivierend verläuft und nachhaltiges Lernen ermöglicht. Gleichzeitig sollte der Strukturierungsaspekt hinter die Dynamik des Lernprozesses zurücktreten und vom Lernenden nicht bemerkt werden.

Die Strukturierung einer Lehr- oder auch Trainingssequenz erfolgt mit entsprechenden Phasen-Strukturmodellen. Es existieren eine Vielzahl solcher Modelle, die sich im Detail unterscheiden, aber grundsätzlich dem folgenden Strukturierungsschema folgen:

Abbildung: Didaktische Raute

Didaktische Raute

Quelle: Bolten 2007b, S. 100. Grafik nachgebaut von Vera Harder.

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1. Interesse für das Thema wecken / motivieren

Zu Beginn einer Lerneinheit müssen Lernende "abgeholt" werden, von den Vorkenntnissen und Vorerfahrungen, aber auch von ihrer Einstellung gegenüber dem Lernszenario.

In der ersten Phase geht es darum, Lernende für den Lernprozess zu öffnen, Anschlussstellen für das bereits gelernte transparent zu machen und eine Brücke zu den nachfolgenden Lernschritten zu bauen. Hierfür eigenen sich offene Fragen, Assoziationsübungen, Mindmaps zum Thema oder auch ein Quiz.

Wichtig ist zu beachten, dass auf vorangegangene Lerneinheiten Bezug genommen wird.

2. Einführung neuer Lerninhalte, die für die Bearbeitung der Fragestellung bzw. des Themas wichtig sind

In dieser Phase geht es darum, den gemeinsamen Ausgangspunkt zu nutzen, um neues Wissen und neue Erfahrungen aufzubauen – mit der Absicht, den nächsten Schritt zum Lernziel vorzubereiten. Es steht zunächst das vertraut werden mit den neuen Materialien im Vordergrund.

Die Einführung neuer Lerninhalte (Contents) sollte stets vom Ziel her gedacht werden. Wichtig ist der Inhalt, der zur Lösung entsprechender Problem- oder Aufgabenstellungen offenkundig notwendig ist. Den Lernprozess unterstützen können hier offene Fragen, das Unterrichtsgespräch, Lehrvorträge, Educasts, Texte und Bilder.

Wichtig ist zu beachten, dass nur in dem Maße Input geleistet wird, wie auch ein Aufnehmen erfolgen kann. Inhalte sollten immer zielgerichtet und nicht um seiner selbst willen präsentiert werden.

3. Bearbeitung der Fragestellung bzw. des Themas (Kerntext):

Sind die Lerninhalte entsprechend eines bestimmten Teilziels ausgewählt, sollte die damit zusammenhängende Frage- bzw. Aufgabenstellung lösbar sein. Das Ziel sollte dabei sein, eine verstehende Auseinandersetzung mit einem für die Lehr-/Lernsequenz zentralen Sachverhalt (auf Grundlage der Erfahrungen/ Kenntnisse der vorangegangenen vorentlastenden Lernphase) zu ermöglichen. Letztlich geht es in diesem Schritt darum, überprüfen zu können, ob der neue Lerninhalt auch wirklich verstanden wurde.

Nur unter der Lösbarkeitsvoraussetzung wird es gelingen, die Motivation der Lernenden zu halten oder bei Erfolg gar zu erhöhen. Die Bearbeitung des Inhalts (Content) bildet den Kern der Lehr-/Lernsequenz. Kerntexte in interkulturellen Lehr- und Trainingssequenzen bestehen aus klassischen Textsorten ebenso wie Spiele, Film(ausschnitt)e, Bilder, szenischen Darstellungen, Geräuschen etc. Es handelt sich immer um einen Lerngegenstand bzw. um einen Themenbereich, auf dessen Bearbeitbarkeit, Erfassung und Verständnis die Lehr-/Lern- oder auch Trainingssequenzen zielt. Die Arbeit mit Kerntexten könnte Reflexionen oder Gruppendiskussionen zu einem Fallstudientext, Interpretationen von Bildern, Grafiken, filmischen oder szenischen Darstellungen erfolgen. Es könnte sich auch um die Bearbeitung von Aufgaben zu dargestellten Frage- bzw. Problemstellungen handeln.

Wichtig ist zu beachten, Kerntexte von geringem Umfang zu wählen, um die Dynamik des Lernprozesses nicht durch längere Phasen der Stillarbeit zu hemmen.

4. (Geleitete) Anwendung / Erprobung des Gelernten / Ausgearbeiteten

Unter dem Aspekt des ganzheitlichen und nachhaltigen Lernens geht es nun darum, das Lernen als ein Intake (statt Input) im Sinne des Andockens von Wissen zu ermöglichen. Dies geschieht wesentlich erst durch die Anwendung und Erprobung des Gelernten (learning by doing). Es geht also um die eigenständige Anwendung des Gelernten und um die Entwicklung eigener Lösungswege.

Die Anwendungsphase kann mithilfe von interaktiven Methoden oder auch durch experimentelle handlungsorientierte Übungsformen umgesetzt werden.

Wichtig ist dabei zu beachten, dass der Schritt zur selbstständigen freien Anwendung nicht zu schnell vollzogen wird.

5. Zusammenfassung; Transfer des Gelernten auf andere Gegenstandsbereiche als den bearbeiteten (eigenständige Anwendung)

Die abschließende fünfte Lernphase zielt darauf, die in den vorangegangenen Lernphasen (eins bis vier) erworbenen Kompetenzen in anderen Zusammenhängen als in den bereits bekannten selbstständig anwenden zu können. Dies funktioniert nur, wenn der Transfer des Gelernten auf unbekannt und unvertraute Kontexte gelingt. Das freie kollaborative Arbeiten oder auch initiierte und durchgeführte interkulturelle Projektarbeit können methodisch diese Lernphase unterstützen.

Wichtig ist zu beachten, dass der Lernbegleiter oder die Lernbegleiterin hier in den Hintergrund tritt und Moderationsaufgaben übernimmt (Bolten, 2020)

Dieses Strukturierungsschema stammt von Hans Aebli (2011) und baut auf der Kognitionstheorie von Dewey (1910) auf.

Bolten (2007b) verdeutlicht das Zusammenspiel der fünf Lernphasen anhand der Figur einer Raute wie folgt:

"Der Lernprozess orientiert sich idealtypisch an einer Kernaufgabe (3), deren Verständnis/ Lösung schrittweise vorbereitet wird (1) (2). Eine Nachhaltigkeit des Lernprozesses wird durch eine mehr oder minder stark gesteuerte Anwendungsphase (4) und eine freie, auf selbstständiges Agieren zielende Transferphase (5) erreicht. Idealerweise baut die Trainingssequenz selbst wieder auf vorangegangenen Lernprozessen auf und bereitet nachfolgende vor. Auf diese Weise ergibt sich eine Lernspirale – oder, um im Bild zu bleiben: Eine Rautenspirale" (Bolten, 2007b).


Modifié le: jeudi 13 juin 2024, 11:25