In der Lerneinheit 5 haben wir uns mit dem Kommunikationsprozess und seinen verschiedenen Komponenten befasst und dabei das unten dargestellte transaktionale Grundmodell der Kommunikation verwendet.
Das Transaktionsmodell
Basierend auf und inspiriert von Bosse, Elke, 2011, S. 103
Illustration: Marie Seeberger (www.behance.net/marieseeberger) CC-BY-NC-SA 4.0 license
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Wir haben auch die Rolle der Kommunikatoren während einer Interaktion bereits in den Blick genommen. Es ist jedoch unerlässlich, die Kommunikatoren als aktive Teilnehmer an der gemeinsamen Herstellung von Bedeutung weiter zu untersuchen. Der nächste Schritt besteht dabei darin, den Prozess des Aushandelns an sich besser zu verstehen. Hier ist es wichtig, den kulturellen und persönlichen Hintergrund der Kommunikatoren, ebenso wie ihren situativen Kontext, der den gesamten Kommunikationsprozess tiefgreifend beeinflussen kann, in unsere Überlegungen mit einzubeziehen
Entscheidend ist, sich damit auseinandersetzen, wie wir bei Verwirrungen, Missverständnissen oder Irritationen zu einer gemeinsamen Sinnstiftung gelangen können. Diesbezüglich zeigt das erweiterte Modell der Kommunikation ein Spektrum möglicher Reaktionen im Kommunikationsprozess auf. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass eine mögliche Reaktion darin bestehen kann, Irritationen oder Missverständnisse zu leugnen oder wahrnehmen zu wollen. Genauso ist es aber auch möglich, dass Kommunikatoren innehalten und sich bewusst machen, dass sie verwirrt oder irritiert sind und sich als Folge dessen um eine Ko-kreation von Bedeutung bemühen. Das Erreichen eines solchen gemeinsamen Verständnisses kann erhebliche Anstrengungen erfordern. Es ist aber auch möglich, dass eine kurze Nachfrage bereits wesentlich zu einer Ko-kreation von Bedeutung beiträgt.
Beginnen wir unsere Erkundung, indem wir uns auf die beiden Kommunikatoren selbst konzentrieren. Ihre individuellen Persönlichkeiten, ihre kulturellen Orientierungen und der spezifische Kontext oder die Situation, in der sie sich befinden, haben einen erheblichen Einfluss darauf, wie sie kommunizieren. Diese Faktoren wirken sich wiederum direkt auf das Ergebnis des Kommunikationsprozesses aus.
Wenn ein Kommunikator beispielsweise sehr neugierig ist, wird dieser Wesenszug seinen bevorzugten Kommunikationsstil erheblich beeinflussen. Eine wissbegierige und extrovertierte Person wird zahlreiche Fragen stellen, wohingegen eine eher zurückhaltende Person zu aktivem Zuhören neigen wird. Das kommunikative Repertoire und die etablierten Kommunikationsmuster einer Person werden zudem durch individuelle Erfahrungen, den persönlichen Hintergrund und den Ausbildungsweg geprägt.
Und es gilt, den individuellen Kontext oder die Situation zu berücksichtigen, in der sich die Kommunikatoren befinden. Hier unterscheiden wir zwischen dem übergeordneten Handlungskontext, z.B., ob die Handlung in einem Büro, auf einer Party oder anderswo stattfindet (wie in Lerneinheit 5 besprochen) und dem individuellen Kontext und damit der spezifischen Situation. Wenn wir von dem individuellen Kontext sprechen, beziehen wir uns auf die Stimmung, den emotionalen Zustand, die Bedürfnisse, die Wünsche und die Wahrnehmungen der Kommunikatoren. Wir berücksichtigen auch die zwischenmenschliche Beziehung, die Art und Tiefe der Beziehung, die die Kommunikatoren haben und ihre Gefühle füreinander. Dies wird manchmal auch als gemeinsamer Erfahrungsbereich bezeichnet, denn gemeinsam Erlebtes und die Länge einer Beziehung weist darauf hin, dass die Kommunikatoren über gemeinsame Erfahrungen verfügen und möglicherweise bereits ein gemeinsames Kommunikationsmuster entwickelt haben, d.h., dass sie mit bestimmten Reaktionen und Gegenreaktionen vertraut sind. Das bedeutet auch, dass sich unser Erfahrungsbereich im Gespräch mit einem engen Freund viel stärker überschneidet als mit einem neuen Kollegen, da wir mit einem Freund bereits ein Repertoire an gemeinsamen Kommunikationskonventionen entwickelt haben.
Schließlich gilt es, die kulturelle Orientierung der Kommunikatoren zu betrachten, da diese die Kommunikationsmuster prägt, die innerhalb eines Kollektivs allgemein als erwartet und normal betrachtet werden. Jedes Individuum verfügt über ein Repertoire an kommunikativen Praktiken und damit Kommunikationsgewohnheiten, die durch die Mitgliedschaft in verschiedenen Kollektiven entwickelt wurden. Die Mitglieder eines Kollektivs verfügen über einen gemeinsamen Bestand an Ideen, Zeichen, Symbolen und Bedeutungen, die oft als selbstverständlich angesehen werden. Wenn sie kommunizieren, wählen sie aus diesem gemeinsamen Repertoire. Folglich beeinflusst dieses gemeinsame Repertoire, ob und inwieweit sich die Kommunikatoren in einer interkulturellen Situation befinden.
Wenn Sie beispielsweise so sozialisiert wurden, dass Sie direkten Blickkontakt als unhöflich empfinden, werden Sie ihn wahrscheinlich selbst vermeiden, ihn als aufdringlich empfinden und das Gleiche von Ihrem Kommunikationspartner erwarten. Wenn Ihr Kommunikationspartner den Blickkontakt jedoch als Zeichen von Vertrauenswürdigkeit und Respekt betrachtet, können Unterschiede im nonverbalen Verhalten zu Irritationen führen und bergen ein Potenzial für Missverständnisse und Fehlinterpretationen. Ebenso können unterschiedliche Bedeutungen derselben verbalen Symbole oder Diskrepanzen in Aussprache, Zeichensetzung und Rechtschreibung den Kommunikationsprozess erheblich beeinträchtigen. Das Erkennen des eigenen kommunikativen Repertoires ist daher ein grundlegender Schritt, um ein Bewusstsein für potenzielle Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu erkennen und zu entwickeln. Der folgende Test kann Ihnen helfen, dies weiter zu erforschen.
Aufgabe: Erkundung meiner kommunikativen Ressourcen und Präferenzen
Obwohl wir unseren Kommunikationsstil z. B. je nach Handlungskontext anpassen, haben wir dennoch allgemeine Präferenzen in Bezug auf einen Kommunikationsstil und verfügen über ein bestimmtes Repertoire an kommunikativen Ressourcen. Die Selbsteinschätzung, um die Sie hier gebeten werden, soll Ihnen einen Überblick über Ihre kommunikativen Präferenzen und Ressourcen vermitteln.
Erstellen Sie anhand der Skalen in Ihrem Learning Journal (a) Ihr persönliches Kommunikationsprofil und (b) Ihr Profil in Bezug auf kommunikative Präferenzen.
Nachdem Sie nun ein Profil Ihres Kommunikationsstils und Ihrer Ressourcen erstellt haben, lassen Sie uns dieses mit dem untenstehenden Profil von Luis vergleichen und die Unterschiede und Gemeinsamkeiten herausarbeiten. In einem zweiten Schritt wollen wir feststellen, wie sich diese Unterschiede und Gemeinsamkeiten auf Ihre Kommunikation mit anderen auswirken können. Wenn Sie beispielsweise dazu neigen, Ihre Gefühle offen auszudrücken, während Luis eher zurückhaltend ist, können wir untersuchen, wie sich dies in Ihrer gemeinsamen Kommunikation äußern könnte.
Wir sind in der Lage, unseren Kommunikationsstil und unsere Herangehensweise anzupassen und tun dies oft je nach Kontext der jeweiligen Situation. Durch die Durchführung von Selbsteinschätzungen wie der obigen können wir uns unserer eigenen Kommunikationspräferenzen sowie derjenigen anderer bewusstwerden und so Gemeinsamkeiten und Unterschiede erkennen. Diese Erkenntnisse können wiederum als Grundlage für die Entwicklung und Diskussion eines gemeinsamen Verständnisses dienen.
Das erweiterte transaktionale Kommunikationsmodell
Sich des eigenen Kommunikationsrepertoires und der eigenen Präferenzen bewusst zu sein, ist von unschätzbarem Wert, wenn man auf Menschen mit unterschiedlichen Kommunikationsstilen trifft. Diese Selbsterkenntnis beeinflusst die in diesen Situationen ausgelösten Reaktionen erheblich. Wie reagieren Sie zum Beispiel, wenn jemand direkten Blickkontakt herstellt und ausdrucksstarke Gesten beim Sprechen einsetzt? Oder wie reagieren Sie, wenn jemand Aufforderungen verwendet, um Dringlichkeit zu vermitteln, wie z. B.: "Claude, ich brauche den Bericht so schnell wie möglich!"
Wenn die Kommunikation nicht mit Ihren Erwartungen übereinstimmt, kann dies Gefühle der Überraschung, Verwirrung oder Irritation hervorrufen. Vielleicht gab es auch schon Fälle, in denen eine Kommunikations-Panne zu einer Verweigerung führte, das Gespräch fortzusetzen. Wie sind Sie mit solchen Situationen umgegangen? Waren Sie in der Lage, den Kommunikationskontext zu analysieren und mehrere Perspektiven zu berücksichtigen, bevor Sie reagierten? Waren Sie in der Lage, einen Schritt zurückzutreten, die Situation einzuschätzen und einen Weg zu finden, um gemeinsam einen Sinn herzustellen, selbst wenn Sie dafür die misslungene Kommunikation korrigieren mussten? Wir werden das erweiterte Kommunikationsmodell nutzen, um diese Fragen zu beantworten.
Das erweiterte Transaktionsmodell
Basierend auf und inspiriert von Bosse, Elke, 2011, S. 103
Illustration: Marie Seeberger (www.behance.net/marieseeberger) CC-BY-NC-SA 4.0 license
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Im Wesentlichen betrachten wir die gemeinsame Herstellung oder Ko-konstruktion von Bedeutung als das Ergebnis eines dynamischen Prozesses zwischen den Kommunikatoren und betonen, dass Kommunikation per se interaktiv angelegt ist. Während des Kommunikationsprozesses beobachten, bewerten und reagieren die Kommunikatoren ständig aufeinander.
Es ist jedoch nicht immer klar, ob unsere Kommunikationsziele erreicht oder effektiv umgesetzt wurden. Diese Ungewissheit kann zu unterschiedlichen Graden der Irritation und Verwirrung führen, wie das obige Modell zeigt. Unter solchen Umständen und insbesondere, wenn die gemeinsame Herstellung von Bedeutung ins Stocken geraten zu sein scheint, reagiert ein Kommunikator oder eine Kommunikatorin möglicherweise emotional, trifft verallgemeinernde Aussagen über ein Kollektiv, dem er oder sie angehört oder entscheidet eine weiterführende Interaktion mit der anderen Person zu vermeiden. Umgekehrt kann eine andere Person in einer solchen Situation mit einer methodischen Analyse beginnen, mehrere Hypothesen aufstellen und eine Handlungsstrategie formulieren, um die Kommunikation zu reparieren und ein gemeinsames Verständnis wiederherzustellen, wie es im unteren Teil des Modells dargestellt ist.
Wie das Modell zeigt, wäre es falsch anzunehmen, dass Reaktionen auf Irritationen in der Kommunikation einem strengen Schritt-für-Schritt-Prozess folgen müssen, bei dem ein Schritt unweigerlich zum nächsten führt. So könnte eine Person beispielsweise verärgert sein, weil der andere Kommunikator die von ihr beabsichtigte Botschaft nicht verstanden hat. Dies kann, muss aber nicht zu Verallgemeinerungen oder Vorverurteilungen führen. In einer solchen Situation könnte jemand auch tief durchatmen und sich dann der Analyse des laufenden Kommunikationsprozesses zuwenden, um eine Lösung zu finden. Umgekehrt kann es sein, dass eine Person bereits Handlungsstrategien entwickelt und ausprobiert hat, dann aber feststellen musste, dass diese Strategien nicht zur gemeinsamen Herstellung von Bedeutung beitrugen. In diesem Fall geht er oder sie möglicherweise dazu über, die andere Person zu vermeiden und beschließt, die Kommunikation nicht fortzusetzen.
Lassen Sie uns nun eine Fallstudie betrachten, um die möglichen Vorgehensweisen und Entscheidungen nach einer Kommunikationsstörung zu veranschaulichen. Hier ist der Fall:
Nur eine Formalität?
Eine Controllerin hat die Halbjahreszahlen der französischen Tochtergesellschaft an ihren Kollegen in der deutschen Muttergesellschaft weitergeleitet. Diese Zahlen sind entscheidend für die Erstellung der Gesamtbilanz des Konzerns.
Einige Tage später erhält sie eine E-Mail von ihrem männlichen Kollegen in Deutschland, die in deutscher Sprache verfasst ist:
Sehr geehrte Frau Dupont,
vielen Dank für die Zusendung der Eckdaten. Leider sind die Zahlen, die Sie mir geschickt haben, falsch. Bitte überprüfen Sie diese noch einmal.
Mit freundlichen Grüßen,
Manfred Müller
Die Controllerin in Frankreich ist verwirrt und etwas verärgert. Zum einen hat sie die Zahlen sorgfältig geprüft und ist sich ziemlich sicher, dass sie korrekt sind. Zum anderen empfindet sie den Ton der Nachricht ihres deutschen Kollegen als äußerst unhöflich. Daher beschließt sie, ihre Antwort zurückzuhalten und ihr Gegenüber in Deutschland zu ignorieren. Die Zeit vergeht, und Frau Dupont hat immer noch nicht geantwortet. Dennoch bleibt die zwingende Aufgabe der Erstellung der konsolidierten Bilanz bestehen.
Quelle: Grosskopf, Sina & Christoph Barmeyer (2021, S. 188), leicht verändert
Beginnen wir unsere Analyse mit der Betrachtung zweier möglicher Vorgehensweisen. Der eine Weg beinhaltet oft eine erste emotionale Reaktion, die dann zu Verallgemeinerungen und in einigen Fällen sogar zu Ablehnung und Vermeidung führen kann. Dieser Weg wird häufig eingeschlagen, wenn sich der Einzelne unverstanden fühlt, Wut oder Frustration empfindet oder glaubt, dass seine Bedürfnisse übersehen werden. In unserer Fallstudie hat sich genau dieses Szenario abgespielt. Die Controllerin unserer Fallstudie ging sogar noch einen Schritt weiter, indem sie sich entschloss, nicht zu reagieren, was als eine Form der Verweigerung angesehen werden kann. Diese möglichen Schritte sind im unteren Teil unseres erweiterten Transaktionsmodells unten dargestellt.
Das Transaktionsmodell
Basierend auf und inspiriert von Bosse, Elke, 2011, S. 103
Illustration: Marie Seeberger (www.behance.net/marieseeberger) CC-BY-NC-SA 4.0 license
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Aber es gibt einen alternativen Weg, der das Potenzial hat, den Dialog und die gemeinsame Herstellung von Bedeutung zu fördern. Um diesen Weg zu beschreiten, ist es unerlässlich, den Kommunikationsprozess zu analysieren. Dies ist die Grundlage für die Entwicklung verschiedener Hypothesen und Handlungsstrategien. Ein erster Schritt, um dieses Ziel zu erreichen, besteht darin, zurückzutreten und das Kommunikationsmodell als Leitfaden zu nutzen, um mögliche Gründe für die Verwirrung oder Irritation zu ergründen.
Eine kurze Analyse
Bei der Analyse betrachten wir den Kommunikationsprozess als Ganzes und nutzen daher das gesamte Transaktionsmodell der Kommunikation.
In unserem Szenario haben wir es mit zwei Kommunikatoren zu tun, von denen erwartet wird, dass sie eng zusammenarbeiten, wobei die eine in der Tochtergesellschaft und der andere in der Muttergesellschaft sitzt. Dieser Handlungskontext ist fest in der Geschäftswelt verwurzelt. Die primäre Kommunikationsform der beiden ist die E-Mail, eine schriftliche Form der Korrespondenz. Es ist erwähnenswert, dass die formulierte Mail in Deutsch verfasst ist, auch wenn anzunehmen ist, dass dies nicht die Verkehrssprache innerhalb des Unternehmens ist. Wir wissen nicht, inwieweit die Person in Frankreich die deutsche Schriftsprache beherrscht. Es ist anzunehmen, dass die Dringlichkeit, die Zahlen zu beschaffen, erheblichen Druck auf den Kollegen in Deutschland ausübt.
Wenn wir uns das erweiterte Modell anschauen, erkennen wir, dass wahrscheinlich sowohl individuelle Persönlichkeitsmerkmale als auch kulturelle Hintergründe in unserem Fallbeispiel eine zentrale Rolle spielen. Bedauerlicherweise bieten die verfügbaren Informationen kein umfassendes Bild der Persönlichkeit der Kommunikatoren. Dennoch gibt es Hinweise darauf, dass die Person in der Muttergesellschaft Klarheit und Direktheit schätzt und wahrscheinlich der deutsch- oder englischsprachigen Gemeinschaft angehört. Er ist scheinbar männlich und gewohnt, seine Kollegin eher förmlich anzusprechen. Nähere Angaben zu seiner derzeitigen Situation oder seiner Nationalität werden nicht gemacht.
Über die Kollegin in Frankreich liegen vergleichsweise wenig Informationen vor. Ihre Reaktion auf die Mail ihres Kollegen lässt darauf schließen, dass sie mit einem anderen Kommunikationsstil vertraut ist. Sie ist weiblich und gehört ebenso wie ihr Gegenüber einer englischsprachigen Gemeinschaft an. Es ist jedoch möglich, dass Englisch bei beiden nicht die Muttersprache ist. Beide sind bei demselben Unternehmen beschäftigt, aber auf unterschiedlichen Ebenen und in unterschiedlichen Funktionen. Ob sie französische Staatsangehörige ist, bleibt ungewiss.
Bei der Betrachtung der Kodierungs- und Dekodierungsprozesse ist es wichtig zu bedenken, dass diese Fallstudie nur eine Momentaufnahme eines umfassenderen Kommunikationsprozesses darstellt. Details wie die Dauer ihrer Arbeitsbeziehung und vorherige Diskussionen über Informationsanfragen sind nicht enthalten. Außerdem reduziert die Verwendung von E-Mail die Kommunikation, da nonverbale, paraverbale und extraverbale Elemente ausgeschlossen werden.
Im Zusammenhang mit dem Kodierungsprozess können wir die folgenden Fragen betrachten:
- Was sind die Absichten der Kommunikatoren?
- Was sind ihre Erwartungen?
- Wie übermitteln sie ihre Botschaften?
In unserem Fall muss die Person in Deutschland einen konsolidierten Bericht verfassen und benötigt Zahlen, die speziellen Spezifikationen entsprechen. Er teilt dies mit, indem er eine formelle E-Mail-Anfrage schickt.
Was die Antwort aus Frankreich betrifft, so bedeutet das Schweigen wahrscheinlich, dass die Kollegin mit der Art und Weise, wie sie angesprochen wurde, unzufrieden ist. Die Reaktion kann auch als Demonstration ihres Widerspruchs und ihres Wunsches nach einer Entschuldigung dienen, die sie durch ihr einfaches Nichtantworten zum Ausdruck bringt.
Bei der Dekodierung kommen die folgenden Fragen ins Spiel:
- Wie nehmen die Kommunikatoren die Antworten oder das Ausbleiben von Antworten wahr?
- Wie könnten sie die Kommunikation interpretieren?
- Was sind ihre Erwartungen?
Für den Kollegen in Deutschland ist die Entschlüsselung des "Schweigens" seiner Kollegin eine Herausforderung. Schweigen, also eine Form der Kommunikation ohne Worte, ist schwer zu analysieren. Er kann das Ausbleiben einer Antwort als Verwirrung, Irritation oder Unannehmlichkeit erleben oder er kann es als mangelnde Kooperationsbereitschaft deuten.
Was die Controllerin in Frankreich betrifft, so empfindet sie die Antwort eindeutig als respektlos und interpretiert sie wahrscheinlich als Unhöflichkeit. Ihre konkreten Erwartungen bleiben unklar.
Entwicklung von Hypothesen
Die aus der Analyse abgeleiteten Antworten können uns helfen, Hypothesen zu entwickeln, d. h. mögliche Erklärungen dafür, was schiefgelaufen sein könnte. Beginnen wir damit, die Perspektive der Person in Deutschland zu untersuchen, die die Zahlen angefordert hat. Eine Hypothese ist, dass er die Controllerin in Frankreich, als unproduktiv oder desinteressiert an der Überprüfung der Zahlen wahrgenommen haben könnte. Eine andere Hypothese könnte sein, dass sie zu beschäftigt war, um zu antworten, möglicherweise weil sie nicht im Büro war oder technische Probleme hatte. Wenn der Mitarbeiter in Deutschland darüber nachdenkt, wie seine E-Mail angekommen sein könnte, könnte er auch in Betracht ziehen, dass sie durch seine Entscheidung auf Deutsch zu kommunizieren, irritiert gewesen sein könnte. Wenn er seine E-Mail neu bewertet, könnte er sogar erkennen, dass seine Bitte überprüfen Sie sie noch einmal”, eher wie ein Befehl als eine freundliche Bitte gewirkt haben mag.
Außerdem könnte er darüber nachdenken, ob seine Botschaft ein Gefühl der Dominanz vermittelt oder ein Versuch ist, Autorität gegenüber der Tochtergesellschaft zu behaupten. Eine andere Hypothese könnte sein, dass sie die Zahlen einfach nur sorgfältig geprüft hat und davon überzeugt ist, dass sie korrekt sind, weshalb sie sich zu Unrecht beschuldigt fühlt. Sie könnte den Ton der E-Mail als unhöflich, anklagend und einschüchternd empfunden haben. Möglicherweise hat sie aber auch eher ein konstruktives verbales Feedback als Kritik erwartet oder hat das Gefühl, dass ihre Bemühungen unbemerkt geblieben sind.
Wenn wir uns nun auf die Controllerin in Frankreich konzentrieren und davon ausgehen, dass sie über ihre Entscheidung, zu schweigen, nachdenkt, könnte sie mehrere Hypothesen aufstellen. Zum Beispiel könnte sie die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass der Controller in Deutschland in Eile war, um Aufgaben zu erledigen, bevor er das Büro verließ, und versehentlich vergaß, dass er die E-Mail an seine französische Kollegin auf Deutsch schrieb. Oder er war spät dran für einen Termin, wollte die Anfrage aber noch schnell erledigen. Der Druck der Vorgesetzten könnte zum Ton seiner Nachricht beigetragen haben. In Anbetracht seiner Persönlichkeit und seines kulturellen Hintergrunds könnte sie auch anerkennen, dass er wahrscheinlich eine direkte und faktenorientierte Kommunikation bevorzugt, was seine Vorgehensweise erklären könnte.
Handlungsstrategien
Die aufgestellten Hypothesen dienen als Grundlage verschiedene Handlungsstrategien zu entwickeln und zu betrachten, die wir dann auf der Basis von Versuch und Irrtum umsetzen können. Diese Vorgehensweise berücksichtigt, dass wir nicht mit Sicherheit sagen können, ob unsere Überlegungen richtig sind und daher gewissen Unsicherheiten innewohnen. Er unterstreicht die Notwendigkeit, dem Verhalten anderer gegenüber aufgeschlossen zu sein, und bereit zu sein, uns immer wieder anzupassen und zu reflektieren.
Da der Mitarbeiter im deutschen Büro derjenige ist, der die Zahlen benötigt, wird er wahrscheinlich die Initiative ergreifen und auf das Schweigen reagieren. Wenn er vermutet, dass die Controllerin in Frankreich die E-Mail nicht erhalten oder übersehen hat, kann er sie zunächst erneut senden. Wenn dies nicht die gewünschte Antwort bringt, kann er sich zurückziehen und ein umfassenderes Vorgehen in Erwägung ziehen und damit in gewisser Weise eine Strategie entwickeln.
Wirksame Handlungsstrategien umfassen oft mehrere miteinander verknüpfte Aktivitäten und Schritte. Im Idealfall erkennt der Kollege in der deutschen Firma, nachdem er über das Schweigen der Kollegin in der französischen Niederlassung nachgedacht und verschiedene Hypothesen entwickelt hat, das Missverständnis und seine möglichen Ursachen. Eine Handlungsstrategie könnte darin bestehen, ein Telefongespräch zu initiieren, um seine Vermutung auszudrücken, dass seine Nachricht möglicherweise nicht wie beabsichtigt interpretiert wurde. Dieses Gespräch könnte als Plattform dienen, um die Einschätzung der Kollegin zu den Zahlen zu erfragen und einen Dialog zu fördern, der auf den Austausch von Informationen und die Herstellung einer gemeinsamen Basis abzielt.
Die Controllerin in Frankreich könnte ihre negativen Gefühle beiseiteschieben, die Zahlen überprüfen und sie mit einer kurzen Notiz zurückschicken. Sie könnte auch davon ausgehen, dass ihr Kollege in der Zentrale keine bösen Absichten hatte und ihn anrufen, um zu besprechen, warum die Zahlen als falsch angesehen wurden. Ein solcher Versuch-und-Irrtum-Ansatz ist in Situationen hilfreich, in denen nur minimale Reparaturarbeiten erforderlich sind oder in denen Beziehungsaspekte zwischen Personen nicht im Vordergrund stehen.
Wie andere Modelle auch, ist das erweiterte Kommunikationsmodell kein perfektes Abbild der Realität. Es wäre irreführend anzunehmen, dass die Entwicklung mehrerer Hypothesen nach der Analyse automatisch und zwangsläufig zu einer Lösung führt. Auch werden die gewählten Handlungsstrategien nicht immer vom anderen Kommunikator gut aufgenommen.
Nichtsdestotrotz ermöglicht uns das Modell, unser eigenes Verhalten und das Verhalten anderer in komplexen kommunikativen Ereignissen, die verwirrend erscheinen mögen, kritisch zu untersuchen und zu reflektieren. Es hilft uns, verschiedene Interpretationen zu erforschen und bildet eine solide Grundlage für die Beseitigung von Missverständnissen und die Ko-Kreation von Bedeutung.