Eng verbunden mit der Vorstellung von Kultur als Orientierungskarte ist die Auffassung, dass Kultur erlernt und weitergegeben wird. Mit anderen Worten: Menschen werden in Kollektiven wie beispielsweise einer Familie, einer Organisation, einem Sportverein oder einer universitären Studiengruppe sozialisiert. Wenn wir unter Kultur etwas Erlerntes verstehen, dann widersprechen wir der Annahme, dass Kultur etwas Angeborenes ist. Zusätzlich heben wir die Tatsache hervor, dass wir durch Kommunikation, Beobachtung und Nachahmung von Handlungen anderer lernen können. Ferner unterstreicht dies die Tatsache, dass das von früheren Generationen erworbene Wissen und Verhalten den künftigen Generationen weitergegeben wird. Sicherlich geht einiges davon verloren, wird neu interpretiert oder verändert, aber es ist potenziell verfügbar und kann genutzt werden. Kulturelles Lernen wird auch als Sozialisation bezeichnet. Dieser Prozess umfasst die Kindheit und setzt sich ein Leben lang fort. In unserer Kindheit lernen wir einfache Dinge, wie zum Beispiel, was als angemessene Tischmanieren angesehen wird. Wir lernen auch die Sprache unserer Eltern, lernen, was als höflich gilt, wem und was man vertrauen kann, wie man auf Menschen zugeht und mit ihnen kommuniziert und wie man mit Meinungsverschiedenheiten umgeht. Dieser Lernprozess setzt sich dann beispielsweise im Kindergarten, in der Schule und im Arbeitsleben fort.

 
Aufgabe: Lehren und lernen

Betrachten Sie das Bild aus einer Schulstunde in Pakistan. Was schätzen Sie: In welchen Punkten ähnelt diese Schule Ihrer eigenen Schule, und was ist Ihrer Meinung nach anders? Notieren Sie Ihre Gedanken in Ihrem Learning Journal.

A classroom in Pakistan

Quelle: Goos, Anne (Das Foto wurde in Pakistan aufgenommen und wird hier mit Genehmigung der Fotografin verwendet). Nicht CC-licensiert.

Das Foto gibt keinen Aufschluss darüber, was gelehrt wird, und wir wissen auch nicht, wie genau dies geschieht, aber es liefert Hinweise darauf, dass formaler Unterricht eine gängige Form der Wissensvermittlung ist.

 
Aufgabe: Kulturübergreifende Sozialisation

Das ist Ernestina (Name geändert), die in einem Dorf in Westafrika aufgewachsen ist und vor etwa fünf Jahren nach Deutschland kam. Sie ist jetzt ausgebildete Tagesmutter und betreut drei Kinder. Glauben Sie, dass ihr Aufwachsen in einem Dorf in Westafrika und ihre Ausbildung zur Tagesmutter die Art und Weise, wie sie die Kinder betreut, beeinflusst? Halten Sie Ihre Gedanken in Ihrem Learning Journal fest.

Abbildung: Kinder mit Betreuerin

Quelle: Busshoff, Elena (Das Foto wird hier mit Genehmigung der Fotografin verwendet.) Nicht CC-lizensiert.

Unsere Sozialisation hört keineswegs auf, wenn wir unsere formale Ausbildung abgeschlossen haben und (möglicherweise) einen Hochschulabschluss haben. Sie setzt sich zum Beispiel fort, wenn wir in einem Unternehmen arbeiten. Hier erfolgt die Sozialisation in der Regel auf formelle, aber auch auf informelle Weise. Der formelle Prozess kann eine anfängliche Einführung und Unterweisung in die "Art und Weise, wie wir die Dinge hier tun" beinhalten, während der informelle Weg Aktivitäten wie das Beobachten von Verhaltensmustern, das Stellen von Fragen oder das Zuhören beim Erzählen umfasst. Sozialisation ist also der Prozess der Verinnerlichung von Kultur und stellt den gesamten Lernprozess im Laufe unseres Lebens dar. Sie hat einen großen Einfluss auf unser Verhalten, unsere Überzeugungen und unser Handeln, sowohl als Kinder als auch als Erwachsene.

Kulturelles Lernen wird von Unternehmen, die eine Lernkultur als Teil ihrer Organisationskultur schätzen und unterstützen, als lebenslanger Prozess verstanden. Wenn dieses Verständnis von Kultur von einem Unternehmen authentisch "gelebt" wird, fördert das Unternehmen nicht nur die Entwicklung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen kontinuierlich, indem es Möglichkeiten zum Erwerb neuen Wissens bietet, sondern unterstützt auch eine echte Zusammenarbeit. Die Erkenntnis, dass die Erfahrungen und das Wissen, das die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in das Unternehmen einbringen, sehr wertvoll sind, ist ein Schlüsselprinzip für das gesamte Lernen im Unternehmen. Dazu gehört auch, dass die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus ihren Fehlern lernen können und aktiv nach Herausforderungen suchen, um so Kreativität und Innovation zu fördern.

Die Tatsache, dass Kultur und folglich auch Handlungsmuster und Wissen weitergegeben werden, erinnert uns daran, dass kulturelle Repertoires nicht zufällig entstehen und somit „nicht einfach so passieren“. Dies trifft sowohl auf Länder als auch auf Unternehmen und andere Kollektive zu. Stellen Sie sich vor, Sie möchten für ein kleines Familienunternehmen arbeiten. Wie sehr wird die Geschichte des Unternehmens die Art und Weise beeinflussen, wie Dinge gehandhabt werden?

Denken Sie zum Beispiel an IKEA, eine Möbelkette mit rund 360 Einrichtungshäusern in über 40 Ländern, die 1943 von Ingvar Kamprad gegründet wurde. Sie spiegelt seine schwedischen Wurzeln und seine Heimatstadt Småland in Südschweden wider, wo Natur, Einfachheit und begrenzte Ressourcen eine wichtige Rolle im täglichen Leben spielen. Dort ist Ingvar Kamprad aufgewachsen und die Werte, mit denen er aufwuchs, wie Zusammengehörigkeit, Kostenbewusstsein, Respekt und Einfachheit, gelten auch heute noch als Leitprinzipien des Unternehmens, obwohl IKEA bereits 1943 gegründet wurde und der Gründer 2018 verstorben ist.

 
Aufgabe: Sozialisation im Disneyland

Lesen Sie die kurze Fallstudie und notieren Sie Ihre Antworten auf die folgenden Fragen/Aufgaben in Ihrem Learning Journal:

  1. Charakterisieren Sie das Kollektiv der Fahrgeschäftsbetreiber
  2. Wie sollten die Neulinge lernen?
  3. Was sollten sie lernen?
  4. Was sind die Schlüsselfaktoren, die das Lernen effektiv machen?

Seit 1955 ist Disneyland eine wichtige Einnahmequelle für Walt Disney Enterprises. Mit Betrieben in mehr als 40 Ländern gehören die Parks und Resorts von Walt Disney zu den führenden Attraktionen für Familienurlaube und Freizeiterlebnisse.

Potenzielle Bewerber und Bewerberinnen für Fahrgeschäfte oder andere stundenweise bezahlte Jobs in Freizeitparks sind eine ziemlich homogene Gruppe, meist große weiße Männer und Frauen in den Zwanzigern mit perfekter Haut, die gute Gesundheit ausstrahlen. Gesichtsbehaarung, ausgefallener Schmuck und übermäßiges Make-up sind nicht erlaubt.

Es werden Einführungsseminare abgehalten und inspirierende Filme gezeigt, in denen die Geschichte, die Traditionen und der Auftrag von Disney erläutert werden. Dies ermutigt den Neuankömmling, sich als Teil des Unternehmens zu fühlen und sich in das Team zu integrieren. Darüber hinaus durchlaufen die neuen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ein vierzigstündiges Ausbildungsprogramm, um sich mit den Vorschriften und Verfahren vertraut zu machen. Ein wichtiger Aspekt ist die Sprache. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen erhalten eine Vokabelliste mit den im Unternehmen verwendeten Begriffen. Kunden werden als "Gäste" bezeichnet, Fahrgeschäfte als "Attraktionen", Unfälle werden als "Vorfälle" bezeichnet und Disneyland ist kein Vergnügungszentrum, sondern ein "Park".

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Einführungsveranstaltungen ist es, den Neuankömmlingen grundlegende Werte zu vermitteln. So lernen sie zum Beispiel: "Der Kunde ist König " oder "In Disneyland ist jeder im Herzen ein Kind". Außerdem wird den neuen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen beigebracht, wie sie sich verhalten sollen, wenn sich Gäste danebenbenehmen, oder wie sie auf schwierige Fragen reagieren sollen. Ein Schulungshandbuch wird ausgehändigt, damit jeder und jede nachlesen kann, was er oder sie gelernt hat.

Neben den formellen Sozialisierungsprozessen findet auch eine informelle Sozialisierung statt. Beispielsweise können Neuankömmlinge, die sich nicht "einfügen", Gegenstand von Klatsch und Tratsch und/oder Ausgrenzung sein. Sie lernen schnell, dass es Unterschiede in der Wertschätzung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gibt. So bestimmen beispielsweise die Art der Arbeit, das Kostüm und der Arbeitsbereich des Parks den sozialen Status der Neuankömmlinge. Hochqualifizierte Arbeit und glamouröse Kostüme bedeuten einen höheren Status. Sie werden auch Geschichten hören, die belegen, dass Angestellte nicht selten gefeuert werden, weil sie zu lange Pausen machen, bestimmte Teile der offiziellen Uniform nicht tragen oder länger als üblich Fahrgeschäfte anbieten.

Die Vorgesetzten sind da, um zu helfen, aber wenn die Rekruten nicht die Rollen spielen, die von ihnen erwartet werden, oder auf der Bühne keine guten Leistungen erbringen, wird ihr Vorgesetzter das sofort merken, da es seine Aufgabe ist, die Leistung der Mitarbeiter zu überwachen und zu bewerten.

Alles in allem sind die Sozialisierungsprozesse im Disneyland sehr strukturiert und effektiv. Es ist in der Tat erstaunlich, dass die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen offenbar bereit sind, die von ihnen erwarteten Rollen mit einer positiven Einstellung und einem freundlichen Lächeln zu spielen, obwohl sie ständig kontrolliert werden, notorisch unterbezahlt sind und unter strenger Aufsicht stehen.

Quelle: cf. Brown, Andrew (1995). ‘Organizational Culture’. London: Prentice Hall; p.55; The Walt Disney Company https://thewaltdisneycompany.com/about/#global (Zugriff am 12.11.2020)


Modifié le: jeudi 13 juin 2024, 15:15