Wenn wir eine gemeinsame Verständnisgrundlage schaffen wollen, müssen wir uns mit der Perspektive der Akteure auseinandersetzen. Uns interessieren daher in erster Linie die Menschen und ihre kulturellen Orientierungen. Auf der Grundlage des offenen Kulturbegriffs argumentieren wir zudem, dass Kultur innerhalb menschlicher Kollektive existiert und sich aus der interaktiven (Re-)Produktion von geteilten Bedeutungsmustern konstituiert. In diesem Sinne kann Kultur von einer Gruppe von Menschen produziert und auch verändert werden. Kultur bezieht sich dabei auf soziale Praktiken innerhalb von Kollektiven. Die Kollektive, denen sich jemand zugehörig fühlt, sind vielfältig. Sie können sich zum Beispiel auf Gruppen beziehen, die mit einem Beruf, einer Funktion, einer Abteilung, einem Sport, einer Unternehmensorganisation oder einer Nation im Zusammenhang stehen. Einige der Kollektive, denen sich Akteure zugehörig fühlen, werden in einem bestimmten Kontext und zu einem bestimmten Zeitpunkt als relevanter angesehen als andere.

Aber was ist nun Interkulturalität? Beispielsweise treffen in einem Arbeitsumfeld Personen zusammen, die möglicherweise ganz unterschiedliche Auffassungen von Arbeitsprozessen mitbringen. Diese haben sie sich im Rahmen ihrer beruflichen Sozialisation und ihrer Zugehörigkeit zu anderen Kollektiven angeeignet und mit denen sind sie vertraut. Wenn sie auf neue Kolleginnen und Kollegen treffen, werden sie unter Umständen ein Gefühl der Unvertrautheit und vielleicht sogar der Fremdheit empfinden. Sie befinden sich damit in einer Situation, in der es ihnen an einer "Normalität" der Zusammenarbeit fehlt. „Normalität“ wird dabei verstanden als das Fehlen von bewährten Vorgehensweisen und Verhaltensmustern, von Plausibilität und fehlenden Routinehandlungen. In solchen Situationen sprechen wir von Interkulturalität.

Interkulturalität kann dabei also auch als ein Prozess sozialer Interaktion und Kommunikation verstanden werden, in dessen Verlauf die Beteiligten ein gemeinsames Verständnis entwickeln, kulturelle Praktiken verändern und angleichen. Die Interaktionspartner entwickeln gemeinsam eine neue geteilte Normalität, die von allen akzeptiert und geteilt wird, die für alle sinnvoll ist und gemeinsame Routinehandlungen ermöglicht.


Modifié le: jeudi 4 juillet 2024, 10:39