Kultur kann als erworbenes Wissen verstanden werden, mit dem sich Menschen ein Bild von der Welt um sie herum machen, Erfahrungen interpretieren und soziales Verhalten entwickeln. Das Wissen einer kulturellen Gruppe unterscheidet sich vom Wissen einer anderen Gruppe und ermöglicht es den Gruppenmitgliedern, sich so zu verhalten, wie es für sie sinnvoll erscheint. Das bedeutet, dass wir uns Kultur als kognitive Landkarte, als Bezugsrahmen oder als Leitfaden vorstellen können, der uns darüber informiert, wie wir uns verhalten und die Welt sehen sollen. Solche kognitiven Karten können als Orientierungshilfe betrachtet werden und helfen uns zu beurteilen, was richtig oder falsch ist. Wir sind also Produkte der Kultur, weil wir von den Kulturen, denen wir angehören, sozialisiert, geformt und beeinflusst werden.
Eine Orientierungskarte zu haben, zwingt uns jedoch nicht, einen bestimmten Weg einzuschlagen. Es bedeutet auch nicht, dass solche Landkarten allen Umständen gerecht werden und unveränderlich sind. Wir können zum Beispiel bewusst von bestimmten Vorstellungen oder Normen abweichen oder sie sogar ganz ablehnen. Eine junge Frau zum Beispiel, die so sozialisiert wurde, dass sie dem Lebensweg ihrer Mutter als Hausfrau folgt, die Kinder erzieht und sich um den Haushalt kümmert, kann auf Bildungsprogramme ansprechen, die Frauen dabei unterstützen, ihre eigene unabhängige Karriere zu verfolgen. Das bedeutet, dass sich die Kultur verändern kann, in diesem Fall durch den Erwerb von Wissen.
Und wir sind auch Produzenten von Kultur. In der Tat sind wir ständig an der Produktion von Kultur beteiligt, wenn auch meist unbewusst. Wenn uns zum Beispiel Freunde anrufen und uns bitten, mit ihnen in dem neuen "Cross-over"-Restaurant zu Abend zu essen, welches eine Mischung aus indischer, karibischer und chinesischer Küche anbietet, sind wir an der Produktion neuer Kultur beteiligt. Ein anderes Beispiel wäre, wenn wir die neue Eis Sorte mit salzigem Lakritz Geschmack probieren, für gut befinden und es zur Routine werden lassen, diese Eissorte zu essen. Während die Kulturproduktion in den Bereichen Essen, Musik und Kunst weit verbreitet und bekannt ist, sind wir auch an der Produktion von Kultur auf einer viel bewussteren Ebene beteiligt.
Trinken Sie Wasser aus dem Hahn oder aus der Flasche?
Denken Sie an alltägliche Routinen und standardisierte Handlungen, die uns so selbstverständlich erscheinen, dass wir kaum darüber nachdenken oder uns Gedanken machen. Zum Beispiel mag es für uns ganz selbstverständlich geworden sein, Wasser aus dem Wasserhahn zu trinken. Wenn wir in einem anderen Land sind, stellen wir vielleicht fest, dass dies einfach nicht gemacht wird, und zwar aus sehr guten Gründen. Deshalb passen wir uns einfach an und kaufen Wasser in Flaschen. Wenn wir also in einem anderen Kontext bewegen, verändern wir unsere Gewohnheiten und passen uns an: Das Trinken von Wasser aus der Flasche wird zu einer neuen Routine.
Denken Sie über mögliche Erklärungen für das Trinken von Wasser aus der Flasche nach. Klicken Sie dann auf das Bild unten, um einige Vorschläge zu sehen.
Ein weiteres Beispiel für Kulturproduktion im deutschen Kontext ist der Trend zum "Urban Gardening", der vor etwa 10 Jahren zu boomen begann und sich auf das Anlegen von kleinen Gärten in städtischen Gebieten bezieht, um Gemüse, Blumen und Pflanzen entweder auf umfunktionierten oder zuvor ungenutzten Flächen anzubauen. Viele dieser neuen "Gärtner und Gärtnerinnen" sind keine Fachleute und haben mit dem Gärtnern begonnen, weil sie den Anbau ihres eigenen frischen Gemüses schätzen und würdigen.
Unsere kulturelle Orientierungskarte wird von vielen Faktoren beeinflusst. Ein Einflussfaktor könnten Erfahrungen sein, die eine Veränderung auslösen. Ein anderer Einflussfaktor könnte das Ergebnis eines Aushandlungsprozesses zwischen Teammitgliedern sein. Wenn eine Gruppe von Personen beginnt, zusammenzuarbeiten, ist es wahrscheinlich, dass sie ihre Arbeitsroutinen aufeinander abstimmen. Dies kann das Ergebnis eines Aushandlungs- und Anpassungsprozesses zwischen den Teammitgliedern sein, kann aber auch durch Unternehmensvorschriften oder kontextuelle Faktoren erzwungen werden, wie im Fall von Covid-19.
Im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie wurden Menschen auf der ganzen Welt ausdrücklich dazu aufgefordert, ihr Verhalten zu ändern - in einigen Ländern unter Zwang, in anderen freiwillig. So mussten viele Menschen ihre Art der Begrüßung ändern, zum Beispiel dort, wo es üblich ist, sich zu umarmen und zu küssen. In Kulturen, in denen man es gewohnt ist, sehr nahe beieinander zu stehen, musste man lernen, Abstand zu anderen Menschen zu halten, und für viele Menschen auf der ganzen Welt war es unüblich, ihr Gesicht und ihren Mund zu bedecken.
Wie der Begriff bereits andeutet, ist Macht ein sehr kraftvoller Treiber von Veränderungen und kann direkt oder indirekt unsere Orientierungskarte beeinflussen. Natürlich gibt es formale Macht, die die offensichtlichste Form ist, z. B. die Macht, die ein Vorgesetzter oder eine Vorgesetzte hat, um das Handeln eines Praktikanten zu beeinflussen. In der interkulturellen Kommunikation geht es jedoch vor allem um die subtilen Aspekte der Macht und darum, wie sie sich auf Interaktionen auswirken. Indem wir zum Beispiel andere ausschließen, üben wir Macht aus. Wir müssen uns auch bewusst sein, dass die in einer Kultur vorherrschenden Normen und Standards im Wesentlichen das Ergebnis eines Machtkampfes sind. Im Laufe der Zeit oder durch indirekte und direkte Verhandlungen haben bestimmte Personen eine bestimmte Reihe von Verhaltensweisen zur Norm und zum Standard erhoben.
Die heute lebenden Menschen sind die Träger der Kultur, die sie von früheren Generationen übernommen haben. Gleichzeitig sind sie auch Erzeuger und Träger der zukünftigen Kultur, da sie bestimmte Aspekte der Kultur anpassen, weiterentwickeln und möglicherweise ablehnen. Kultur bezieht sich also auf ein lebendiges System. Wir sind die Produkte der Kultur, aber gleichzeitig auch Produzenten von Kultur. Dies zeigt, dass Kultur ständigen Veränderungen unterliegt, von denen einige kaum spürbar sind und andere tiefgreifender.
Aufgabe: Kultur-Skripte – Trinkgeld geben
Dieses Bild wurde in Spanien aufgenommen und zeigt, wie Trinkgeld gegeben wird. Wir beobachteten, dass es im Restaurant üblich war, nach der Rechnung zu fragen. Die Kellnerin brachte die Rechnung dann auf einem kleinen Tablett oder Teller an den Tisch, worauf das Geld gelegt wurde. Die Kellnerin nahm es dann weg und brachte es mit dem Wechselgeld zurück wie auf dem Foto zu sehen ist. Es lag dann offensichtlich an einem selbst, ob man Trinkgeld geben wollte und wie hoch es ausfallen sollte. Wir beobachteten außerdem, dass es in dem Lokal üblich ist, das Trinkgeld auf dem Tablett liegen zu lassen und dann wegzugehen. Ein oder zwei Mal haben wir versucht, genug Geld für die Rechnung und das von uns erwartete Trinkgeld auf den kleinen Teller zu legen. Wir sagten der Kellnerin dann, dass es in Ordnung sei und dass es nicht nötig sei, mit dem Wechselgeld zurückzukommen, wie es zum Beispiel in Deutschland üblich ist. Aber sie reagierte nicht.
Foto von Adelheid Iken
- Was könnten Gründe dafür sein, das Trinkgeld auf dem Tablett liegen zu lassen und wegzugehen, wie in Spanien beobachtet?
- Welche Gründe könnten für ein anderes System sprechen, bei dem das Trinkgeld auf den Gesamtbetrag der Rechnung aufgeschlagen und dem Kellner oder der Kellnerin gesagt wird, dass er oder sie das Wechselgeld behalten kann, wie es in Deutschland häufig der Fall wäre?
- Würden wir erwarten, dass die Abläufe in allen spanischen Restaurants die gleichen sind?
- Was könnte das Verhalten des Kellners ändern?