Interkulturelle Begegnungen sind alltäglich. Sie finden in unserem lokalen Wohnumfeld statt, in Bildungseinrichtungen, am Arbeitsplatz und auf Reisen. Unser Verständnis von Interkulturalität ist mit unserem Verständnis von Kultur verbunden. Auf Grundlage unseres Kulturverständnisses (offen oder geschlossen) können wir interkulturelle Begegnungen auf zwei mögliche Arten erleben. Der Begriff "Interkulturalität" beschreibt sowohl in der Perspektiven des geschlossenen Kulturbegriffs als auch in der des offenen Kulturbegriffs zunächst einmal die Abwesenheit von Normalität, Plausibilität und das Fehlen von gemeinsamen Routinehandlungen. Interkulturelle Interaktion wird als eine ungewohnte Situation betrachtet. Wie der Einzelne den anderen wahrnimmt und wie er die Handlungen des anderen interpretiert, hängt von seinen Erfahrungen ab. Das bedeutet auch, dass unsere Erwartungen und unsere Wahrnehmung von interkulturellen Begegnungen von unseren mentalen Modellen beeinflusst werden. Kulturelle Unterschiede können also zu Verwirrungen und Reibungen führen, wenn wir uns unserer mentalen Modelle (Wahrnehmungen, Erwartungen und Erfahrungen) nicht bewusst sind und wenn wir nicht offen dafür sind.
Wenn wir uns der Interkulturalität aus einer geschlossenen Kulturperspektive nähern, verstehen wir Interkulturalität als die Begegnungen zwischen zwei oder mehr Menschen aus verschiedenen Ländern und mit unterschiedlichem Hintergrund. Aus der Perspektive eines offenen Kulturverständnisses stehen sich in jeder Interaktion Individuen gegenüber, die über zahlreiche Gruppenzugehörigkeiten verfügen, die sie kulturell beeinflussen. Interkulturalität wird demzufolge als Prozess zwischen Personen verstanden, welche sich auf die Dynamik des Zusammenlebens von Mitgliedern unterschiedlicher Lebenswelten, auf ihre Beziehungen zueinander und ihre Interaktionen untereinander bezieht (Bolten 2012, S. 39). Aus unbekannter Differenz kann bekannte Differenz werden. Im Verlauf des Interaktionsprozesses greifen Individuen auf unterschiedliche kulturelle Erfahrungen zurück. In diesem Aushandlungsprozess werden neue Normalitäts- und Plausibilitätsregeln konstruiert. Im Ergebnis entsteht dann Kulturalität. Interkulturalität und Kulturalität verlieren vor diesem Hintergrund an Trennschäfte. Interkulturalität ist in dieser Perspektive ein kontextabhängiges Gefühl und keine objektive Tatsache.
Obwohl interkulturelle Begegnungen oft als besonders herausfordernd angesehen werden, verlaufen viele von ihnen ohne Probleme. Dies gilt umso mehr, wenn wir interkulturelle Prozesse verstehen und interkulturelle Begegnungen analysieren können. Kulturelle Unterschiede können zu unserem Vorteil genutzt werden und sogar zu Synergien führen. Um dies zu erreichen, sind die Bereitschaft zum Austausch sowie die Bereitschaft und Offenheit, Neues zu lernen, erforderlich. Wenn dies gegeben ist, kann die interkulturelle Interaktion zu einer neuen, gemeinsam ausgehandelten Kultur führen, die auf einem kontinuierlichen Kommunikationsprozess, dem Austausch von Wissen und gegenseitigem Lernen beruht.