Ein wichtiges Element beim Mapping ist die Frage, wie wir unsere Zusammenarbeit gestalten wollen, also welche Erfahrungen wir bisher gemacht haben und welche Erwartungen wir haben. Lane et al. (2019) stellen fünf Dimensionen vor, die sie in Zusammenarbeit mit GlobeSmart entwickelt haben und die ihrer Meinung nach eine gute Kombination aus Validität und praktischer Relevanz bieten. Dies sind die Dimensionen:

  • Aufgabe/Beziehung
  • Unabhängigkeit/Interdependenz
  • Egalitär/Statusorientierung
  • Direkte/indirekte Kommunikation
  • Risiko/Gewissheit
  • Monochronie/Polychronie

Die letzte, hier aufgeführte Dimension Zeit (Monochronie/Polychronie) haben wir mit aufgenommen, weil wir der Meinung sind, dass sie in einem privatwirtschaftlichen Kontext eine entscheidende Rolle spielen kann.

Die Dimensionen stellen zwar Gegensätze (binäre Logik) dar, die wir jedoch auf einem Kontinuum verortet sehen. Dies bedeutet, dass zwischen den Gegensätzen Abstufungen möglich und wahrscheinlich sind und eine Zuordnung im Sinne eines Entweder-Oder erfolgen kann, aber nicht notwendigerweise muss. Auch kann die Zuordnung zu den Dimensionen von Kontext zu Kontext variieren. Das heißt, ich kann mich in meinem hauptberuflichen Kontext eher der einen Ausprägung einer Dimension zuordnen und in meiner freiberuflichen Tätigkeit oder im Privatleben andere Präferenzen haben, ganz im Sinne meiner Multikollektivität und kulturellen Heterogenität (Sowohl Entweder-Oder als auch Sowohl-als-auch).

Wenn wir diese sechs Dimensionen nutzen, um unser persönliches Profil zu erstellen, werden wir dazu angehalten, über unsere kulturellen Orientierungen und auch über das Bild, das wir anderen von uns in einem bestimmten Kontext vermitteln, nachzudenken. Und wir können sie nutzen, um im sogenannten Mapping auszuloten, wo sich unsere Orientierungen und die unseres Gegenübers ähneln oder unterscheiden.

Das Mapping erfolgt, indem sich jede Person bezogen auf einen bestimmten Arbeitskontext den binären Konzepten auf der Skala graduell zuordnet. Selbstverständlich kann eine solche Skala das Verhalten einer Person nie ganz genau widerspiegeln, da es viele unterschiedliche Einflussfaktoren gibt, die unser Verhalten bestimmen können. Wenn wir uns auf einer Skala einordnen, übertragen wir zum Beispiel unweigerlich unser eigenes, einzigartiges Verständnis des jeweiligen Konzepts. Zudem ist unser Selbstbild und Metabild rein subjektiv und kann, je nach Kontext, variieren. Gleichwohl kann das Mapping uns einen Überblick über grundlegende Orientierungen verschaffen, zum gegenseitigen Verständnis beitragen und als Grundlage für kulturelle Aushandlungsprozesse genutzt werden und damit einer inklusiveren Zusammenarbeit.

Zunächst widmen wir uns der Dimension Aufgabe/Beziehung und schauen uns die Konzepte genauer an. Nach Lane et al. (2019) bezieht sich diese Dimension darauf, dass Personen, die zusammenarbeiten, in der Regel eine bestimmte Aufgabe erfüllen müssen, während sie sich gleichzeitig um die Beziehungen zu ihren Teammitgliedern kümmern. In jedem Team gibt es wahrscheinlich Personen, die sich in erster Linie auf die Aufgabe und die Produktion von Ergebnissen konzentrieren wollen. Folglich werden diese Personen viel Wert auf Zielsetzung und Planung legen. Andere hingegen halten es für wichtig, gute Beziehungen zu ihren Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen aufzubauen. Sie betrachten diese als Grundlage für eine gute Zusammenarbeit und als Voraussetzung für die Entwicklung gegenseitigen Vertrauens. Das soziale Miteinander ist für sie daher ein fester Bestandteil der gemeinsamen Arbeit. Diese Teammitglieder werden sich auf Interaktionen und die Förderung positiver Beziehungen konzentrieren und sich um das Wohlbefinden ihrer Kollegen kümmern. Und es wird Mischformen mehr in die eine oder andere Richtung geben.

 
Aufgabe: Meine Forscherkollegen

Lesen Sie sich die Fallstudie durch und finden Sie Indikatoren, die darauf hindeuten können, dass Vadim stärker beziehungsorientiert ist als seine Kollegen. Was könnten andere Gründe dafür sein, dass Vadims Kollegen so ungern über private Themen sprechen? Denken Sie bei der Beantwortung dieser Frage nicht nur an persönliche Aspekte, sondern auch an den Kontext. Was könnte Vadim für Vermutungen anstellen? Notieren Sie die Antworten in Ihrem Learning Journal.

Vadim ist ein Doktorand im Studiengang Maschinenbau. Vor ein paar Monaten ist er einer Forschungsgruppe beigetreten und teilt sich nun ein Büro mit zwei anderen Doktoranden. Insgesamt gefällt es ihm sehr gut, und seine Kollegen sind sehr nett, aber er findet es schwierig, persönliche Beziehungen zu seinen Kollegen aufzubauen. Auch nach mehreren Monaten hat sich nichts geändert. Er hat kaum etwas über ihr Familienleben erfahren, und wenn er sie nach ihrem Privatleben fragt, fallen die Antworten meist kurz aus und wirken auf ihn eher distanziert. Seine Kollegen scheinen sich nicht sonderlich für ihn zu interessieren. Und obwohl er schon seit Monaten Mitglied der Gruppe ist, hat er bisher keine einzige private Einladung erhalten. Nun fragt er sich, was er falsch gemacht haben könnte, und kommt für sich zu dem Schluss, dass seine Forscherkollegen offenbar von Natur aus kalt sind.

Quelle: Basierend auf einem Critical Incident aus dem Forschungsprojekt "Mehrsprachigkeit und Multikulturalität im Studium" (MuMis-Projekt, 2011)

Alle Personen sind in der Regel bestrebt, Ihre Aufgaben zu erfüllen und die Arbeit zu erledigen. Die Art und Weise, wie sie dieses Ziel erreichen, kann jedoch recht unterschiedlich sein. Zwischen den beiden Polen Aufgaben- und Beziehungsorientierung gibt es viele Abstufungen und Mischformen und wie sich jemand verhält und worauf der Fokus gelegt wird, ist immer auch abhängig von der Situation und der Aufgabe.

 
Aufgabe: Einander kennenlernen

Lesen Sie sich die Fallstudie durch und notieren Sie in Ihrem Learning Journal die Antworten auf die folgenden Fragen:

  1. Welche Themen hält Thao für unangemessen?
  2. Was könnten Gründe sein, warum Karen diese Fragen stellt?
  3. Welche Themen würden Sie in diesem Zusammenhang für unangemessen halten?

Zu Beginn eines zweitägigen Workshops an einer Universität werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gebeten, sich gegenseitig kennen zu lernen. Zu diesem Zweck treffen sich sie sich in Paaren. Ihre Aufgabe ist es, sich gegenseitig vorzustellen und persönliche Informationen auszutauschen. Thao trifft Karen. Als sie sich vorstellt, spricht Thao ganz allgemein über ihr Studium, ihre Reisen und ihre Hobbys. Karen möchte jedoch mehr über ihre privaten, beruflichen und finanziellen Pläne erfahren und fragt, ob sie verheiratet ist und wie ihr finanzieller Hintergrund aussieht. Thao empfindet diese Fragen als sehr persönlich und beschließt, nur sehr vage Antworten zu geben. Sie ist froh, als dieses "Kennenlernen" vorbei ist und beschließt, sich von Karen fernzuhalten.

Quelle: Basierend auf einem Critical Incident aus dem Forschungsprojekt "Mehrsprachigkeit und Multikulturalität im Studium" (MuMis-Projekt, 2011)

Die zweite Dimension, Unabhängigkeit/Interdependenz, beschreiben Lane et al (2019) als Präferenz für eine klare Rollenverteilung und dafür, alleine zu arbeiten, anstatt sich mit anderen im Arbeitsprozess abzustimmen und sich gegenseitig bei Aufgaben zu unterstützen. Unter unabhängig verstehen Lane et al. (2019) auch, dass mehr Wert auf die Verfolgung eigener Ideen und persönlicher Ziele gelegt und die Kontrolle über die Ereignisse behalten wird. Im Gegensatz dazu beschreiben Lane et al. (2019) interdependente Personen als solche, die der Auffassung sind, dass Koordination und gegenseitige Unterstützung bei der Bewältigung von Aufgaben besonders erstrebenswert sind und nur durch gegenseitiges Vertrauen bewältigt werden können. Diese Menschen würden in hohem Maße auf die Bedürfnisse und Erwartungen anderer eingehen und seien bereit, die Personen, mit denen sie zusammenarbeiten, zu unterstützen. Um dies zu erreichen, sei ein positives Arbeitsklima sowie ein Gefühl von Loyalität und Pflichtbewusstsein gegenüber anderen unerlässlich.

Daraus lässt sich ableiten, dass Kolleginnen und Kollegen, die Wert auf Interdependenz und solche, die Werte auf Unabhängigkeit legen, die Zusammenarbeit wahrscheinlich sehr unterschiedlich angehen. Auch wenn Interaktionen für Personen mit interdependenter Orientierung als auch mit unabhängiger Orientierung gleichermaßen wichtig sind, unterscheiden sie sich darin, in welchem Maße sie beispielsweise kollektive Anstrengungen wertschätzen.

 
Aufgabe: Zusammenarbeiten?

Lesen Sie sich bitte die Fallstudie durch und geben Sie an, warum Mihai und sein Kommilitone möglicherweise unterschiedliche Auffassungen von "Durchführung einer Teamaufgabe" haben. Notieren Sie die Antwort in Ihrem Learning Journal.

Mihai soll zusammen mit zwei Studentinnen eine Teamaufgabe lösen. Gemeinsam sollen sie einen schwierigen Text bearbeiten und ihn als Grundlage für die Beantwortung einer Reihe von Fragen verwenden. Mihai arbeitet sich sehr schnell durch den Text und beantwortet die Fragen. Im Handumdrehen ist er bereit, seine Ergebnisse mit den anderen Teammitgliedern zu teilen. Er ist perplex und traurig, als er merkt, dass einer seiner Mitstudentinnen ziemlich verärgert über seine Vorgehensweise ist. Er wollte doch nur helfen!

Quelle: Basierend auf einem Critical Incident aus dem Forschungsprojekt "Mehrsprachigkeit und Multikulturalität im Studium" (MuMis-Projekt, 2011)

Die dritte Dimension, Egalitarismus/Status, beschreibt laut Lane et al. (2019), wie Macht und Verantwortung zugewiesen und verteilt werden. Als egalitär orientiert wird eine Person charakterisiert, die der Ansicht ist, dass alle Kolleginnen und Kollegen mehr oder weniger gleich sind und Macht und Verantwortung daher so gleichmäßig wie möglich verteilt werden sollten. Daher wird dann davon ausgegangen, dass Fragen gemeinsam diskutiert und entschieden werden sollten und dass jede Person zur Erfüllung der anstehenden Aufgabe beiträgt. Organisationen, die egalitär ausgerichtet sind, haben flache Hierarchien. Das bedeutet, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Allgemeinen über ein hohes Maß an Unabhängigkeit verfügen und wichtige Entscheidungen treffen können. Das Ziel eines solchen Umfelds ist es, die Motivation und das Engagement aller zu maximieren und so das Beste aus jeder Person herauszuholen.

Personen, die sich in hierarchischen und statusorientierten Arbeitsumgebungen wohl fühlen erwarten eher, dass Entscheidungen von Vorgesetzten getroffen werden. Nach Lane et al. (2019) zeigen Personen mit dieser Orientierung insofern Engagement, als dass sie Anweisungen befolgen aber nicht unbedingt Vorschläge machen oder relevante Informationen liefern. Macht und Verantwortung sind in solchen Kontexten eher vertikal als horizontal verteilt und Mitarbeitenden empfinden es häufig als schwierig, sich bei Problemen an ihre Vorgesetzten zu wenden.

Auch hier gilt, dass es nicht notwendigerweise die eine oder die andere Ausprägung gibt, sondern Mischformen. Es gilt auch, dass eine Person möglicherweise berufsbedingt Hierarchieorientiert arbeiten muss, im Privatleben aber großen Wert auf Gleichstellung und Gleichbehandlung legt.

 
Aufgabe: Hierarchische/egalitäre Orientierung

Die Verbeugung ist in Japan Teil einer althergebrachten kulturellen Tradition. Recherchieren Sie im Internet, warum sich Menschen verbeugen, wie sie das tun und wann sie das tun. Notieren Sie in Ihrem Learning Journal die Aspekte, die mit Status und hierarchischen Orientierungen zu tun haben.

Der folgende kurze Fall illustriert das Unbehagen einer Studentin, die von ihrem Professor zu einer Tasse Kaffee eingeladen wird.

 
Aufgabe: Eine Tasse Kaffee mit meinem Professor

Lesen Sie bitte den kurzen Fall und überlegen Sie, wie Sie sich in dieser Situation gefühlt hätten.

Als ich heute in die Cafeteria ging, traf ich meinen Wirtschaftsprofessor, der als Nächster an der Reihe war. Er begrüßte mich sehr freundlich und lud mich ein, mich zu ihm zu setzen und eine Tasse Kaffee zu trinken. Er sagte, er wolle mehr über das Unternehmen meiner Familie erfahren und würde sich sehr gerne mit mir unterhalten. Ich entschuldigte mich und sagte ihm, dass ich nicht bleiben könne. Aber die Wahrheit ist, dass ich mich in dieser Situation unwohl gefühlt habe, schließlich ist er mein Professor.

Der Auszug aus einem Praktikumsbericht zeigt, wie Machtdistanz Arbeitsabläufe beeinflussen und von jemandem wahrgenommen werden kann, der nicht an ein hierarchisches System gewöhnt ist.

Mein Chef sagt mir genau, wie ich meine Arbeit zu machen habe, ohne dass ich seine Entscheidungen in Frage stellen oder beeinflussen kann. Deshalb habe ich manchmal das Gefühl, dass ich kontrolliert werde. Ich musste zum Beispiel eine Excel-Tabelle erstellen, deren Formatierung ich ungefähr zehn Mal überarbeiten musste, bevor sie passte. Das ist neu und ungewohnt für mich, da ich bisher für Vorgesetzte gearbeitet habe, die wollten, dass ich selbstständig und unabhängig arbeite.

Die vierte Dimension, Direktheit/Indirektheit, beschreibt laut Lane et al. (2019) den Kommunikationsstil einer Person. Personen, die einen direkten Kommunikationsstil schätzen, bevorzugen eine offene, prägnante und direkte Kommunikation. Lane et al (2019) argumentieren, dass Personen, die eine direkte Kommunikation bevorzugen, dies tun, weil eine möglichst deutliche Sprache wenig Raum für Interpretationen und Unklarheiten lässt und so eine zeitsparende Kommunikation gewährleistet wird. Dies gilt auch, wenn schwierige oder kritische Fragen angesprochen werden, z. B., wenn Feedback gegeben oder Fehler in eingereichten Arbeiten festgestellt werden. Direkte Kommunikation basiert auf dem Verständnis, dass es möglich ist, die Person und die Botschaft voneinander zu trennen. Dadurch wird vermieden, dass Personen in Verlegenheit geraten und Gesichtsverlust droht. Kurze und präzise Mitteilungen seien typisch für diese Art von Kommunikationsstil, ebenso wie schriftliche Sitzungsprotokolle und detaillierte Anweisungen, wobei wenig auf nonverbale Hinweise und das Lesen zwischen den Zeilen geachtet wird.

 
Aufgabe: Was Sie denken und was Sie sagen

Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich in einem fremden Land und bekommen ein Essen angeboten, das Ihnen wirklich unappetitlich oder sogar ekelhaft erscheint. Sie möchten das Angebot natürlich ablehnen, doch wie würden Sie vorgehen oder was würden Sie sagen? Wählen Sie in Ihrem Learning Journal eine Option aus der folgenden Liste aus.

  • Dieses Essen sieht wirklich ungewöhnlich aus und es tut mir leid, aber ich kann es nicht essen
  • Vielen Dank für Ihr Angebot, ich weiß es sehr zu schätzen. Doch leider werde ich nicht bleiben können.
  • Dieses Essen sieht eklig aus, das kann ich auf keinen Fall essen.
  • Das ist sehr nett von Ihnen, aber ich fürchte, ich fühle mich nicht wohl.
  • Dieses Essen sieht sehr interessant aus und ich wünschte, ich könnte mich Ihnen anschließen, aber ich fürchte, ich habe Probleme mit dem Magen.
  • Sonstiges: ...

Menschen, die eine Vorliebe für einen indirekten Kommunikationsstil haben, verwenden laut Lane et al. (2019) unterschiedliche Methoden, um ihre Botschaft auszudrücken und neigen dazu, auf eine Art und Weise zu kommunizieren, die Raum für Interpretationen lässt. Pausen, Stille, Tonfall und Körpersprache sind dabei wichtige Bestandteile der gesamten Kommunikation. Bei der indirekten Kommunikation liegt der Schwerpunkt auf der Interpretation der Botschaft und dem Wissen, dass andere Personen andere Ansichten zu einem Thema haben könnten. Dieser Kommunikationsstil berücksichtigt, dass jede Person in einem bestimmten Kontext handelt und dass das Lesen zwischen den Zeilen Möglichkeiten zur Suche nach Gemeinsamkeiten und Sichtweisen eröffnen kann.

Die fünfte Dimension, Risiko/Gewissheit, bezieht sich nach Lane et al. (2019) auf den Umfang und Bedarf an Informationen und Klärung bevor ein handeln sinnvoll erscheint und Entscheidungen getroffen werden sollten. Gewiss plant jeder sein Handeln, aber wie viele Details benötigt werden und wie viel Raum für unvorhersehbare und unvorhersagbare Ereignisse gelassen wird, unterscheidet sich. Unter Risikoorientierung beschreiben Lane et al. (2019) Personen, die Wert auf schnelles Handeln legen und bereit sind, auf der Grundlage von Informationen, die ihnen nur eine grobe Orientierung bieten, Entscheidungen zu treffen und zu handeln. Sie vertrauen darauf, dass sie die notwendigen Anpassungen im Laufe des Prozesses vornehmen können, wenn sie flexibel sind und den Prozess beobachten und im Blick behalten. Personen mit einer hohen Risikobereitschaft sind daher recht tolerant gegenüber Veränderungen und halten Regeln und Vorschriften nicht für übermäßig wichtig.

Das folgende Beispiel veranschaulicht, wie sich dieser Unterschied im Verhalten bemerkbar machen kann:

Robert ist ein Ingenieur, der eine Präsentation vor einer internationalen Gruppe von Kollegen und Kolleginnen halten soll. Er verbringt viel Zeit und Mühe mit seiner Präsentation, weil er seinen Kollegen und Kolleginnen alle technischen Details der neuen Software vermitteln möchte, die sie für die Einführung benötigen. Nach etwa einer Stunde hebt Jenny die Hand und sagt: "Richard, vielen Dank für deine Präsentation, aber könntest du uns nicht einfach sagen, was wir wissen müssen, um die Software anzuwenden, anstatt uns die technischen Details zu erklären und wie die Software funktioniert?"

Für sicherheitsorientierte Personen ist es entscheidend, über detaillierte Informationen zu verfügen und entsprechend auch, diese zu erhalten. Dadurch, so die Annahme, kann man sich auf alle möglichen Szenarien vorbereiten. Für risikoorientierte Menschen mag dies jedoch viel zu detailliert erscheinen, da sie es vorziehen, einfach aus Erfahrungen zu lernen und bei Bedarf Anpassungen vorzunehmen.

Personen, die dazu neigen, Unsicherheit zu vermeiden, benötigen einen gründlichen und detaillierten Informationsstand sowie einen detaillierten Plan, bevor sie sich wohl damit fühlen und bereit sind, sich verbindlich zu engagieren. Dazu kann eine intensive und detaillierte Analyse der anstehenden Fragen gehören, bei der verschiedene Aspekte und Gesichtspunkte berücksichtigt werden, um mögliche Risiken und Eventualitäten zu vermeiden. Während der Umsetzungsphase liegt der Schwerpunkt dann darauf, auf dem richtigen Weg zu bleiben und den vereinbarten Plan zu befolgen, anstatt ihn ad hoc anzupassen. Ein detaillierter und vereinbarter Plan dient dabei der Herstellung von Transparenz für alle Beteiligten, Meilensteine werden als Anker verstanden, die helfen, den Projektfortschritt zu visualisieren und Regeln und Vorschriften machen deutlich, welche Maßnahmen von allen Beteiligten erwartet werden.

 
Aufgabe: Eine Teampräsentation

Lesen Sie die Fallstudie und notieren Sie in Ihrem Learning Journal, wie Alice ihrem Kommilitonen Ajul erklären könnte, warum es ihr schwerfällt, seiner Art zu folgen, die Teamaufgabe anzugehen.

Alice ist Mitglied einer dreiköpfigen Arbeitsgruppe, die in ein paar Wochen eine Präsentation als Teil der Kursanforderungen halten soll. Auf Initiative ihres Kommilitonen Ajul haben sie einen detaillierten Zeitplan erstellt und die Aufgaben den verschiedenen Mitgliedern der Gruppe zugeteilt. Bei der folgenden Sitzung stellt sich heraus, dass sich außer Ajul niemand an den Plan und den Zeitplan gehalten hat. Außerdem verlieren sich die anderen Studierenden in Diskussionen über Dinge, die nicht direkt mit der eigentlichen Aufgabe zu tun haben. Das ärgert Ajul sehr. Er fordert sie immer wieder auf, sich an den Plan zu halten, und wirft Alice und dem anderen Studierenden sogar vor, undiszipliniert und faul zu sein. Im Rückblick auf die Arbeitsgruppensitzung wird Alice klar, dass es für sie zwar gut ist, einen Plan zu haben, dass dies aber für sie nicht bedeutet, diesen akribisch zu befolgen. Sie findet auch, dass es hilfreich wäre, sich darauf zu einigen, wie sie ihre Aufgabe überhaupt angehen wollen.

Die letzte Dimension, die wir behandeln wendet sich dem Zeitbegriff zu und unterscheidet in monochrone bzw. polychrone Zeit. Sie wurde um 1960 von Edward T. Hall eingeführt. Vor dem Hintergrund, dass Organisationen und Gesellschaften zunehmendem Zeitdruck ausgesetzt sind, Menschen die Zeit unterschiedlich erleben und dies einen entscheidenden Einfluss auf den Arbeitsfluss und die Koordinierung der Arbeit und auf die Gestaltung der Zusammenarbeit hat, ist dieser Dimension auch heute noch eine große Bedeutung beizumessen. Mit dieser Dimension wird nach Edward T. Hall (1983; p. 46) unterschieden, wie sehr oder wie wenig Personen zum Multitasking neigen, d. h. mehrere Dinge gleichzeitig bzw. parallel erledigen. Monochron orientierte Personen neigen dabei eher dazu, Aufgaben nacheinander zu planen und eine Aufgabe nach der anderen zu erledigen.

Das folgende Zitat aus einem Lerntagebuch deutet auf einen eher zeitbewussten und strukturierten Arbeitsstil hin.

"Es stört mich, wenn mir die Zeit davonläuft, deshalb fange ich gerne sofort nach Erhalt der Aufgabe an zu arbeiten. Vor allem zu Beginn unserer Teamarbeit war es mir ein persönliches Anliegen, zu klären, welches Mitglied für die Aktualisierung unseres Zeitplans und unserer Leistungen verantwortlich ist, damit wir alle eine Art Struktur haben, die unsere Fortschritte anzeigt und uns hilft, das Ziel zu erreichen. Meine persönliche Vorliebe, Dinge sofort zu erledigen und im besten Fall mindestens ein paar Tage vor Abgabe der Aufgabe fertig zu sein, wirkt sich ebenfalls auf meine Vorgehensweise aus."

Quelle: Learning Journal, 2020

Auch bei dem Gegensatzpaar monochrone bzw. polychrone Zeitorientierung gibt es eine Varianz, bzw. die Zuordnung kann graduell je nach Kontext in die eine oder andere Richtung erfolgen. Das folgende Beispiel dient zur Veranschaulichung der Konzepte bezogen auf Arbeitsstile.

Die Arbeit eines Friseurs veranschaulicht die polychrone Ausrichtung sehr gut. Vor allem in kleineren Salons müssen die Friseure ihre Zeit optimal nutzen. Daher ist es wahrscheinlich, dass sie sich um mehrere Kunden gleichzeitig kümmern. Der eine lässt sich vielleicht die Haare färben, während ein anderer unter dem Fön sitzt oder zum Shampoo-Becken gebeten wird. Dazwischen nimmt der Friseur Anrufe entgegen und vereinbart Termine. Ein Postkurier hingegen muss sich ganz anders verhalten: Er muss einen Vorgang abschließen, bevor er zum nächsten übergeht, da die meisten seiner Aufgaben nicht miteinander verzahnt werden können.

Quelle: vgl. Ballard, D. I., & Seibold, D. R. (2003). Kommunizieren und Organisieren in der Zeit. Management Communication Quarterly, 16 (3), S. 387.

Das Zitat verdeutlicht, dass monochrone und polychrone Arbeitsstile sich auch einfach auf unterschiedliche Arbeitskontexte beziehen können.

 
Aufgabe: Geschäftsabschluss

Lesen Sie bitte die folgende Fallstudie und notieren Sie in Ihrem Learning Journal, wie das Konzept monochrone versus polychrone Zeitorientierung uns helfen könnte, die Verhaltenserwartungen von Herrn Balto und Herrn Baus zu verstehen.

Herr Baus, ein erfahrener Geschäftsmann, wurde beauftragt, im Namen seines Unternehmens mit einem potenziellen Vertriebspartner zu verhandeln. Wie vereinbart, trifft Herr Baus pünktlich um 11:30 Uhr im Büro seines Verhandlungspartners ein. Herr Balto erscheint jedoch erst gegen 11:45 Uhr. Er begrüßt Herrn Baus äußerst herzlich, scheint es aber nicht für nötig zu halten, sich für seine Verspätung zu entschuldigen. Außerdem scheint er keine Anstrengungen zu unternehmen, um eine ungestörte Atmosphäre für das Gespräch zu gewährleisten. Trotz der Anwesenheit von Herrn Baus führt er immer wieder kurze Telefonate und lässt sich von Kollegen unterbrechen. Als Herr Balto ihn nach einer Stunde zum Mittagessen einlädt, denkt Herr Baus, dass er nun endlich die Gelegenheit hat, mit ihm über geschäftliche Dinge zu sprechen. Doch auch hier wird Herr Balto in unzählige Gespräche verwickelt. Er plaudert nicht nur mit Geschäftspartnern, die es sich alle an ihrem Tisch bequem machen, sondern auch mit Freunden, die er zufällig trifft. Voller Enthusiasmus stellt er jeden einzelnen Herrn Baus vor, der immer ungeduldiger wird.

Quelle: In Anlehnung an Zaninelli, S. M. (2005). Sechs-Stufen-Modell eines interkulturellen "Integrativen Trainingsprogramms", http://www.culture-contact.com/resources/2017-von-Ulrike-Reisach-IKT-Six-stage-model_Culture-contact-Artikel.pdf, Zugriff am 30.11.2020

Ein weiterer Teilaspekt der Dimension Zeit stellen für Avnet und Sellier (2011) die Konzepte Ereigniszeit und Uhrzeit dar. "Ereigniszeit-Orientierung" beschreibt ein zyklisches Verhältnis zu Zeit. Zeit wird verstanden als ein kontinuierlicher Fluss, bei dem Aufgaben im Verhältnis zu anderen Aufgaben geplant werden und Aktivitäten nacheinander von der Vergangenheit über die Gegenwart bis in die Zukunft stattfinden. Beispielsweise machen Personen mit einer „Ereigniszeit-Orientierung“ nicht unbedingt zu einem bestimmten Zeitpunkt Feierabend, sondern erst dann, wenn die Arbeit, die für notwendig erachtet wird, tatsächlich abgeschlossen ist. Im Gegensatz dazu steht die Uhrzeit-Orientierung, wonach Aktivitäten nach genauen Zeitplänen stattfinden, die in messbaren Zeitfenstern verankert sind. Das bedeutet auch, dass der Tag beispielsweise unterteilt werden kann, wie die folgende Abbildung zeigt.

Kalenderblatt mit Terminen und Sticky Notes

Quelle: Fotografie von Adelheid Iken

Eng verbunden mit der Zeitorientierung ist die Frage der Flexibilität in Bezug auf die Arbeitszeiten sowie unser Verständnis von Pünktlichkeit und Fristen. Dies veranschaulicht die folgende Fallstudie.

 
Aufgabe: Unterschiede in der Zeitorientierung

Der folgende kurze Fall handelt von unterschiedlichen Zeitorientierungen. Lesen Sie bitte die Fallstudie und notieren Sie in Ihrem Learning Journal zwei positive Aspekte für eine Ereigniszeit-orientierung und zwei positive Aspekte bezüglich der Uhrzeit-orientierung.

Herr Miller war Vorsitzender eines internationalen Treffens und hatte die Gruppe gebeten, genau um 14.00 Uhr wieder zusammenzukommen, da sie für den Nachmittag eine straffe Tagesordnung abarbeiten mussten.

Um 13.50 Uhr waren die meisten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den Sitzungssaal zurückgekehrt und unterhielten sich. Um 14.10 Uhr wurde Herr Miller unruhig und ungeduldig und wartete auf die Rückkehr der letzten Teilnehmenden. Zwei Teilnehmer befanden sich noch auf dem Flur und führten Telefongespräche. Sie kamen um 14.20 Uhr herein, was Herrn Müller dazu veranlasste, mit etwas gereizter Stimme zu sagen: "Meine Damen und Herren, können wir jetzt endlich mit der Sitzung beginnen?" Als er dies sagte und sich umsah, bemerkte Herr Miller, dass einige der Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch den Tonfall seiner Stimme verwirrt und konsterniert wirkten.

 
Aufgabe: Öffnungszeiten

Schauen Sie sich bitte das Foto unten an und überlegen Sie, wann das Geschäft Ihrer Meinung nach wieder öffnen wird. Was würde jemand, der an klar definierte Öffnungszeiten gewöhnt ist, über die Ladenbesitzerin oder den Ladenbesitzer denken?

Ladenschild in Shanghai – 'Eating time'

Quelle: Adelheid Iken, 2002. Das Foto wurde in Shanghai, China, aufgenommen.

Die Verwendung von Dimensionen als Orientierungsrahmen kann unser Verständnis für mögliche Verhaltensunterschiede unterstützen. Sie können uns auch helfen zu verstehen, welche Art von Verhalten wir zeigen und erwarten, wenn wir mit anderen zusammenarbeiten. Sie helfen auch, Verhaltensunterschiede aus anderen Perspektiven zu betrachten.

 
Aufgabe: Mich selbst und meine kulturellen Orientierungen kennenlernen

Sich selbst kennenzulernen, ist ein erster, wenn auch entscheidender Schritt auf dem Weg zu einem reflexiven Verhalten in einem interkulturellen Umfeld. Die hier erörterten Dimensionen sollen Sie bei Ihrer Selbsteinschätzung unterstützen.

Denken Sie zunächst an einen bestimmten Arbeitskontext und versuchen Sie dann, sich selbst hinsichtlich Ihres Verhaltens in dem von Ihnen gewählten Arbeitskontext den jeweiligen Konzepten zuzuordnen. Die Zuordnung kann sowohl in die eine oder andere Richtung auch graduell erfolgen. Kreuzen Sie hierzu die Position zwischen den Gegensätzen an, die Ihrer Einschätzung nach Ihr Verhalten am besten widerspiegelt. Sie können sich selbstverständlich auch einem der Gegensätze zuordnen. (Wenn Sie dieses Blatt ausdrucken, können Sie die gesetzten Kreuze miteinander verbinden, um eine visuelle Darstellung Ihres Profils in Form einer Zickzacklinie zu erhalten.) Überlegen Sie, ob und inwiefern Ihre Präferenzen sich ändern, wenn Sie sich in einem anderen Arbeitskontext betrachten.


Zuletzt geändert: Dienstag, 6. August 2024, 16:11